Braucht nachhaltiges Bauen nicht Visionäre statt Reformatoren? - Ein Gespräch mit Prof. Werner Sobek

 

22. Mai 2014 - Vieles, was wir bis vor wenigen Jahren als Gewissheit erachtet haben, hat heute keine Gültigkeit mehr. Die Welt ist unübersichtlich geworden, zuweilen chaotisch. Wir ahnen: Es gibt keine Konstanten mehr, auf die wir uns verlassen können. Was in der Vergangenheit die Lösung war, kann heute die Probleme verschlimmern. Entgegen der Wachstumsideologie des 20. Jahrhunderts, ist der schonende und zugleich sinnstiftende Umgang mit natürlichen Ressourcen die Basis für ein ökologisch ausgeglichenes – und zugleich gerechtes – Miteinander. Als Energiefresser und Materialschlucker Nummer Eins sind Gebäude eines der wichtigsten Handlungsfelder. Sie im Einvernehmen mit Umwelt und Natur zukunftsfähig weiterzuentwickeln, davon hängt – so dramatisch es klingen mag - unser Wohlergehen ab. Der Hintergrund ist in der Tat ernst: Denn nachhaltig Bauen bedeutet nicht weniger als eine radikale Abkehr von der tradierten Baukultur und das Überkommen veralteter Denkmuster. Für das 21. Jahrhundert braucht es neue Visionen für Gebäude (und Städte). Und dafür braucht es visionäre Planer, Ingenieure und Architekten.

 

Die Hoffnung, interdisziplinär erarbeitete Antworten zu finden, die Maßstäbe für alle am Bau Beteiligten setzen, hat Prof. Werner Sobek 2007 dazu bewogen, gemeinsam mit anderen Mitstreitern die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ins Leben zu rufen. Als einer der weltweit renommiertesten Ingenieure der Gegenwart ist es seiner Initiative zu verdanken, dass heute ein transparenter und umfassender Wertekanon über die Nachhaltigkeit von Gebäuden existiert. Nach sieben arbeitsintensiven Jahren als Präsident und Vizepräsident der DGNB widmet er sich nun wieder ganz seinem weltweit tätigen Büro sowie seinen beiden Lehrstühlen in Stuttgart und Chicago. Aufgaben sieht er für sich und seine Profession genug.

 

Feierlichkeit zum 60. Geburtstag von Prof. Werner Sobek im ILEK in Stuttgart | © Fotograf René Müller, Stuttgart
Feierlichkeit zum 60. Geburtstag von Prof. Werner Sobek im ILEK in Stuttgart | © Fotograf René Müller, Stuttgart

greenIMMO: Herr Prof. Sobek, dass nachhaltiges Bauen kein „nice to have“ ist, spiegelt sich aktuell in der Novellierung der HOAI wider. Dort sind die Bilanzierung ökologischer Gebäudequalitäten und die Lebenszykluskosten-Betrachtung besondere Leistungsmerkmale. Welche Auswirkungen werden die veränderten Anforderungen auf die Tätigkeit von Architekten und Ingenieuren haben? 

 

Prof. Werner Sobek: Unsere Arbeit wird komplexer. Die im Bauschaffen schon lange überfällige ganzheitliche Betrachtung von der Materialgewinnung, der Komponentenherstellung, der Planung, dem Bau, dem Betrieb bis hin zu Um- und Abbau wird durch die jetzt in die HOAI neu eingebrachten Aspekte zumindest ansatzweise realisiert. Zwar bleiben wichtige Gesichtspunkte wie der Einsatz an grauer Energie oder das Recyclingverhalten und anderes nach wie vor außen vor, die Richtung aber stimmt. Für uns Planer bedeutet die erwähnte Steigerung an Komplexität mehr als je zuvor die Notwendigkeit umfassender Aus- und Weiterbildung sowie die Notwendigkeit integraler Planungsprozesse.

 

greenIMMO:Nehmen wir die Aufnahme der Lebenszykluskosten-Berechnung in die HOAI als ein Beispiel für die gravierenden Veränderungen: Zum einen geht sie über die gesetzlich geregelte Gewährleistungspflicht von Architekten von fünf Jahren hinaus, zum anderen soll der Architekt für Funktionsweisen haften, die vom Gebäudebetrieb, also vom Nutzer bzw. Betreiber oder Eigentümer abhängig sind – die er aber nicht beeinflussen kann. Das stellt doch den bisherigen Zuständigkeitsbereich völlig auf den Kopf. Ungeachtet der juristischen Aspekte, wie wird das die Planung beeinflussen?

 

Prof. Werner Sobek: Sie haben völlig recht. Man kann einen Planer nicht in eine Gewährleistungspflicht für Dinge nehmen, die er nicht beeinflussen kann. Andererseits ist klar, dass wir die sogenannte Gebäudeperformance nicht nur planen, sondern im Betrieb auch tatsächlich messen, garantieren und, idealerweise, optimieren müssen. Die in diesem Zusammenhang erforderlichen haustechnischen Komponenten messen und dokumentieren auch das Nutzerverhalten. Hieraus kann man dann Rückschlüsse darauf ziehen, was planungs- und was nutzerinduziert ist. Dies erlaubt weitere Verbesserungen. Man sieht, dass Planung, Produktion und Betrieb zukünftig viel mehr Hand in Hand gehen müssen und dass die Planer weit länger mit ihren Gebäuden verbunden sein werden als bisher.

 

Wissenstransfer von zentraler Bedeutung

 

greenIMMOAuch im Bereich der Normen und Standards besteht zum Teil erheblicher Reformbedarf. Bereits heute ist es möglich, Gebäude mit einer „intelligenten“ Infrastruktur zu versehen, die bisher getrennt voneinander ablaufende Funktionsweisen zu einem System zusammengeführt. Viele dazu notwendige Produkte sind längst am Markt, setzen sich jedoch nur langsam durch. Außerdem fehlt es an entsprechendem planerischen Know-how. Statt zukunftsfähig bauen wir deshalb oft noch „nach alter Väter Sitte“. Und die Bestands“modernisierung“ beschränkt sich allzu häufig allein auf das Zudämmen von Häusern - von Intelligenz oder gar Nachhaltigkeit keine Spur. Was muss getan werden, damit ganzheitlich geplant und eine tatsächlich nachhaltige Bauqualität – und Werterhaltung - erreicht wird?

 

Prof. Werner Sobek: Wir müssen an mehreren Stellen ansetzen. Ein zentraler Aspekt ist natürlich die Ausbildung an unseren Hochschulen – hierauf würde ich gerne noch detaillierter zu sprechen kommen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verbreitung von Wissen über die bereits bestehenden Möglichkeiten. Dies betrifft nicht nur die Ausbildung an den Hochschulen, sondern auch und insbesondere diejenigen Planer, die ihre Ausbildung bereits vor 20, 30 Jahren abgeschlossen haben. Wir müssen sicherstellen, dass auch bei diesen Kolleginnen und Kollegen Aspekte wie Rezyklierbarkeit, Lebenszykluskostenbetrachtung oder partizipative Planung zu einem natürlichen Bestandteils ihres Vokabulars und ihrer Arbeit werden – und dass die neuen Techniken, Produkte und Methoden bekannt sind, aber auch kritisch geprüft und hinterfragt werden. Insbesondere gemeinnützige, nicht auf bestimmte Produkte oder Standards festgelegte Institutionen wie das Stuttgart Institute of Sustainability (SIS) können hier eine wichtige Rolle für den Know-how-Transfer in die Breite spielen. Zu guter letzt hat natürlich die Politik eine große Verantwortung für die Art und Weise, wie nachhaltig geplant und gebaut wird. Lange Zeit lag das Hauptaugenmerk der Regierungen nur auf dem Aspekt der Reduktion des Energieverbrauchs in der Nutzungsphase. Die darauf aufbauende Förder- und Subventionspolitik hat jedoch neben der Limitierung des Energieverbrauchs gleich auch noch die zu ergreifenden Maßnahmen wie Luftdichtigkeit und Mindestdämmwerte vorgeschrieben. Unverständlich! Denn durch das Vorschreiben bestimmter Maßnahmen schließt man andere aus und behindert so jedwede Innovation. Deutschland ist durch diese Vorgehensweise zwar zum Land der „Dichter und Dämmer“ geworden - einen tatsächlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit bedeutete dies jedoch nicht, denn die pro Quadratmeter Wohnraum eingesparten Energiemengen wurden, wie wir alle wissen, durch das stetige Wachstum der individuellen Wohnraumgröße wieder kompensiert. Die Wissenschaft spricht hier von einem rebound effect: Der Energieverbrauch pro Quadratmeter ist den letzten 40 Jahren gesunken, die Quadratmeter pro Kopf aber gestiegen, so dass, in der Summe, pro Kopf heute nicht viel weniger Energie für die Wärmeerzeugung verbraucht wird als vor 40 Jahren. Gleichzeitig ist zu beachten, dass die zur Herstellung der Dämmstoffe erforderliche (graue) Energie bemerkenswerte, bisher nicht berücksichtigte Dimensionen hat, dass wir für viele Dämmstoffe das knappe Erdöl verarbeiten und dass wir, insbesondere bei vielen Wärmedämmverbundsystemen, letztlich nichts anderes als Sondermüll erzeugen.

 

Ich bin froh, dass zwischenzeitlich ein Umdenken einsetzt. Beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat man erkannt, dass es wesentlich sinnvoller ist, lediglich Einsparziele vorzugeben und auf eine aktive Kooperation der Planer mit anderen am Bauschaffen Beteiligten zu setzen, um holistische, auf eine ganzheitliche Betrachtung gerichtete Konzepte zu fördern. Die Einhaltung der Einsparziele ist natürlich nachzuweisen - womit wir wieder bei der soeben diskutierten Frage sind.

Feierlichkeit zum 60. Geburtstag von Prof. Werner Sobek im ILEK in Stuttgart | © Fotograf René Müller, Stuttgart
Feierlichkeit zum 60. Geburtstag von Prof. Werner Sobek im ILEK in Stuttgart | © Fotograf René Müller, Stuttgart

greenIMMO: In Anbetracht der gestiegenen Anforderungen, welchen Stellenwert bekommt die Ausbildung des Nachwuchses?

 

Prof. Werner Sobek: Die Ausbildung spielt eine zentrale Rolle. Viele wichtige Aspekte sind in den traditionellen Curricula von Architekten und Ingenieuren bisher allerdings kaum bzw. gar nicht berücksichtigt: Wie baue ich ressourcenschonend? Wie verwende ich möglichst wenig graue Energie? Wie baue ich meine Häuser so, dass man sie später einmal vollständig rezyklieren kann? Wie organisiert man Partizipationsprozesse etc. Erfreulicherweise werden diese Fragen zunehmend in der Lehre aufgegriffen. Es gibt auch diverse neue Professuren, die nicht nur einzelnen Aspekten, sondern dem nachhaltigen Bauen als ganzes gewidmet sind. Unsere wichtigste Aufgabe ist und bleibt es aber in meinen Augen, die Verantwortung der Architekten und Ingenieure für das, was sie tun, in den jungen Menschen verankern. Wir müssen bei den Planern und Verantwortlichen von Morgen eine Bewusstseinserweiterung bewirken. Dies gilt insbesondere für die Ingenieurwissenschaften. Studierende und Lehrende zugleich müssen endlich verstehen, dass die Ingenieurausbildung mehr ist als Mechanik, Mathematik und Statik. Das sind zwar wichtige Komponenten, aber sie nützen nichts, wenn man nicht vernünftig entwerfen und konstruieren kann. Gutes Konstruieren heißt auch: Konstruieren für spätere Rückbau-Zyklen. Und: Das Beispiel des nachhaltigen Bauens macht doch besonders deutlich, dass die integrale Planung unabdingbar ist, wenn wir eine bauliche Qualität erzielen wollen. Man kann dann nicht mehr sequentiell planen. Nachhaltiges Planen und Bauen erfordert ein harmonisches Zusammenspiel aller Beteiligten. Hierfür müssen Sie aber die Sprache, die Denkweise des jeweils anderen verstehen – und dies geht nur, wenn dies bereits in Ihrer Ausbildung verankert wird.

 

greenIMMO: Werden Sie sich in Zukunft wieder verstärkt in die Forschung und auch Lehre einbringen? Wenn ja, wie und in welcher Form?

 

Prof. Werner Sobek: Die Zusammenarbeit mit den Studierenden und das Vorstoßen in neue Bereiche der Wissenschaft sind mir persönlich wichtig. Ich habe deshalb meine Aktivitäten in Forschung und Lehre trotz des (z.T. äußerst zeitintensiven) ehrenamtlichen Engagements in der DGNB nie reduziert. In den nächsten Jahren wird es aber sicher einige neue Schwerpunkte in unserer Forschung geben. Neben der Suche nach neuen Materialien und Strukturen (unabdingbar insbesondere für den Ultraleichtbau!) werden wir uns am ILEK künftig noch stärker mit der von mir entwickelten Aktivhaustechnologie, also Häusern, die in der Jahressumme mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen und die über eine Schnittstelle verfügen, mit der sie mit anderen Gebäuden, Energieerzeugern, Energieverbrauchern oder der E-Mobilität vernetzt werden, beschäftigen.

 

Nicht zuletzt durch die äußerst wertvolle Arbeit der vielen hundert ehrenamtlichen Mitglieder der DGNB, die sich in der Systementwicklung engagiert haben, haben wir eine sehr gute Definition der Zielgrößen, die wir beim Bauen zukünftig erreichen sollen. Was wir in vielen Fällen noch erforschen müssen ist, wie wir diese Ziele erreichen können.

 

Inhalte von Nachhaltigkeit transparent machen 

 

greenIMMO: Mit dem Plusenergiehaus mit Elektromobilität haben Sie ein Modell geschaffen, durch das ein zukunftsorientiertes Gebäude praktisch erlebbar wird. Das „Erleben“ ist ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz. Planen Sie weitere derartige “Erlebnismöglichkeiten“, wenn auch nicht in diesem Umfang, so vielleicht in Kooperation mit Universitäten und Studenten?

 

Prof. Werner Sobek: Ja, das praktische Erleben ist sehr wichtig für die Akzeptanz durch die breite Öffentlichkeit. Es ist aber auch für uns als Planer und Forscher sehr wichtig. Wie bewähren sich die von uns entwickelten Konzepte und Systeme, wie werden sie von den Nutzern akzeptiert? Wo können wir Dinge wie Komfort, Benutzerfreundlichkeit etc. weiter verbessern? Wir gehen bei unseren Überlegungen mittlerweile ja weit über das Einzelgebäude hinaus und beziehen die Mobilität ebenso wie die Quartiersumgebung als integralen Bestandteil in unsere Planung ein. Im Mittelpunkt stehen dabei für uns keineswegs Dinge wie „Plusenergie“ oder ein Mehr an „Effizienz“. Diese müssen selbstverständlich erfüllt sein, so wie die Standsicherheit. Wir wollen kein Diktat der Technik oder der Effizienz – diese müssen dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Wir werden bald ein weiteres Experimentalhaus errichten, diesmal in der Region Stuttgart. Dieses als Aktivhaus konzipiertes Gebäude wird demonstrieren, wie durch das Prinzip der Schwesterlichkeit und eine intelligente Gebäudeautomation Lösungen für eine nachhaltige Mobilität und für eine nachhaltige gebaute Umwelt entstehen können.

 

greenIMMO: Kommen wir zur aktuellen Situation. Die Stadtentwicklung erlebt momentan eine Renaissance, wenn man sich die Diskussionen in Großstädten anschaut. Von Berlin über Hamburg und Stuttgart bis München treibt der Wohnungsmangel die Leute auf die Straße, eine mobile Lebens- und Arbeitswelt stellt die vorhandene Stadtstruktur und Gebäudenutzung zunehmend in Frage, eine dezentrale Energieversorgung setzt bestehende Monopole zusehends außer Kraft. Diese Transformationsprozesse sind mittelbar oder unmittelbar mit zukunftsweisenden Ingenieur- und Architektur-Lösungen verbunden. Sie sind aber auch verbunden mit einem modernen Bau- und Planungsrecht, das sich an Nachhaltigkeitskriterien orientiert. Die diesbezüglichen Reformen hinken der Wirklichkeit jedoch weit hinterher, obwohl sie die Entwicklung vorantreiben - und nicht zuletzt gestalten - könnten. Sind die mit Nachhaltigkeit einhergehenden Strukturreformen vielleicht (politisch und wirtschaftlich) gar nicht gewollt, eben weil sich dadurch bisherige Schemata verändern?

 

Prof. Werner Sobek: Es gibt etablierte Interessen, denen nicht an einer raschen Veränderung gelegen ist und die die erforderlichen Strukturreformen mit allen Mitteln verhindern wollen. Zudem sind die Menschen verunsichert, da es in der Vergangenheit immer wieder schwer nachzuvollziehende Wechsel in der politischen Zielsetzung gab. Hinzu kommt natürlich auch, dass das Bauwesen aus seiner Natur heraus konservativ ist, dies vielleicht sogar zwangsläufig sein muss – denn angesichts der großen Summen, die bei vielen Projekten investiert werden, haben die Planer und Ausführenden eine ganz besondere Verpflichtung zur Risikominimierung. Nichtsdestotrotz: Die von Ihnen beschriebenen Schwierigkeiten bestehen. Es ist in meinen Augen die Aufgabe der Planer, den Wandel voranzutreiben und die Politik ebenso wie die Wirtschaft für die Möglichkeiten eines Wandels zu begeistern.

 

Den überkommen Status quo aufbrechen  

 

greenIMMO: Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Bauschaffenden strategisch zeitgemäß aufgestellt sind, um etwas zu bewirken. Nehmen wir die zahlreichen Kammern, Verbände und Innungen, die sicherlich wieder auf der übergeordneten Bundesebene zusammengeführt werden. Aber wirtschaftliche und öffentlichkeitswirksame Schlagkraft lässt sich auf diese Art nur schwer erreichen. Müssen sich diese Strukturen nicht ebenfalls ändern?

 

Prof. Werner Sobek: Was die Kammern und Verbände betrifft: Die föderalen Strukturen sind gut und wichtig – wir brauchen eine Verankerung in der Breite und in der Tiefe. Aber manches Mal würde man sich in der Tat schlagkräftigere nationale (oder besser noch: international aufgestellte) Interessenverbände für die Interessen aller Planer wünschen! Es ist zu schade, dass Architekten und Ingenieure immer noch in separaten Kammern und Verbänden agieren. Was die Büros betrifft, so bin ich der Überzeugung, dass sich der bereits begonnene Wandel in den kommenden zehn Jahren fortsetzen wird. Kleine Büros mit teilweise unkonventionellen Strukturen wird es für kleinere Bauaufgaben sicher weiterhin geben. Mittlere und größere Projekte werden aufgrund der vorhin beschriebenen Komplexitätssteigerungen und einer zunehmend ganzheitlichen Betrachtungsweise zukünftig Bürostrukturen erzwingen, die sich durch straffe Organisation, multidisziplinäre Qualifikation und Kompetenz in der integralen Planung auszeichnen.

 

greenIMMO: Aus Ihrer Erfahrung der letzten Jahre betrachtet, braucht es nicht mutige „Junge Wilde“ und Visionäre statt Reformatoren zur Umsetzung von Nachhaltigkeit?

 

Prof. Werner Sobek: Wer eine Grenze überschreiten will, der muss wissen, wo die Grenze verläuft. Wir benötigen dringend Innovationen und Visionen, als kraftvolle, in eine gesellschaftliche Diskussion einzubettende Zielformulierungen. Ich fordere von meinen Studierenden und jungen Mitarbeitern permanent den Mut, eine eigene Haltung zu formulieren, aufzubrechen und ihre Auffassungen durchzusetzen. Für die jungen Menschen ist dies angesichts der von der Jurisprudenz nahezu vollständig durchwobenen gesellschaftlichen Interaktionen und einer in der Bevölkerung in großer Breite vorhandenen Vollkaskomentalität ein schwerer Weg! Letztlich brauchen wir angesichts der vor uns stehenden Probleme mehr Mut in der gesamten Gesellschaft. Im Bauwesen gilt es, einen Kokon an Regelungen und Vorschriften zu sprengen, in den sich die Branche in den vergangenen 50 Jahren bis zur Bewegungsunfähigkeit eingesponnen hat. Nur wenn dies gelingt, werden Innovationen schnell genug durchsetzbar.

 

greenIMMO: Mit wem sollten sich ambitionierte junge Ingenieuren und Architekten zusammenschließen, um Veränderungen herbeizuführen?

 

Prof. Werner Sobek: Gründet eine Sezession! Ich persönlich glaube nicht, dass sie etablierten Institutionen (so wichtig sie auch für andere Belange sind) in der Lage sein werden, auf die auf uns zukommenden Probleme schnell genug zu reagieren.

 

greenIMMO: Wie sehen Sie Ihre Rolle zukünftig im Bestreben um die Verankerung von integraler Planung in Bauprozesse?

 

Prof. Werner Sobek: Ich werde mich weiterhin für ein verändertes Denken im Bauschaffen einsetzen. Meine persönlichen Schaffensschwerpunkte werde ich aber in den Bereich gestalterischer und wissenschaftlicher Fragen verschieben.

 

greenIMMO: Herr Prof. Sobek, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

 


Prof. Werner Sobek erhält Deutschen Solarpreis 2012

 

29. Oktober 2012 - In Anerkennung seiner beispielhaften Arbeiten im Bereich des solaren Bauens wurde Prof. Dr. Dr. E.h. Werner Sobek am vergangenen Wochenende in Wuppertal mit dem Deutschen Solarpreis 2012 ausgezeichnet.

 

Der Deutsche Solarpreis wird seit 1994 von EUROSOLAR - Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien e.V. an Gemeinden, kommunale Unternehmen, Vereine oder Gemeinschaften, private Personen, Ingenieure, Architekten sowie an Organisationen vergeben, die sich um die Nutzung Erneuerbarer Energien besonders verdient gemacht haben.

F87 – das mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnete Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität in Berlin (Copyright: Matthias Koslik, Berlin)
F87 – das mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnete Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität in Berlin (Copyright: Matthias Koslik, Berlin)

Werner Sobek hat bereits im Jahr 2000 mit seinem R128 gezeigt, wie energieautarke, voll rezyklierbare Gebäude mit hohem Wohnkomfort und großer Gestaltqualität geschaffen werden können. Der Deutsche Solarpreis 2012 ehrt Werner Sobek nun insbesondere auch für das im Dezember 2011 eröffnete Projekt F87, ein im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geplantes "Einfamilienhaus mit Elektromobilität", das nicht nur sämtliche im Gebäude benötigte Energie selbst aus erneuerbaren Quellen erzeugt, sondern das darüber hinaus auch die zum Haus gehörenden Elektrofahrzeuge ganzjährig mit Strom versorgt.

 

Die von Werner Sobek gegründete und nach ihm benannte Firmengruppe steht weltweit für Engineering, Design und Nachhaltigkeit. Sie hat Niederlassungen in Stuttgart, Dubai, Frankfurt, London, Moskau, New York und Sao Paulo. Die Arbeiten des Büros zeichnen sich durch eine hohe Gestaltqualität auf der Basis von herausragendem Engineering und ausgeklügelten Konzepten zur Minimierung von Energie- und Materialverbrauch aus. Das 1992 gegründete Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern plant nahezu alle Typen von Bauwerken in unterschiedlichsten Materialien.


Prof. Werner Sobek
Prof. Werner Sobek

Bauschaffende müssen Position beziehen: Prof. Werner Sobek im Interview

 

2. März 2010 - Dass sich die Bau- und Immobilienbranche in einer radikalen Umbruchphase befindet, läßt sich durch aktuelle Marktzahlen belegen. Wie sich dieser Prozess verträglich gestalten lässt, dafür gibt es jedoch keine verlässlichen Angaben. Gut sind diejenigen beraten, der sich in der Krise an denen orientiert, die klare Vorstellungen haben und Ziele formulieren. Prof. Werner Sobek, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und international renommierter Bauingenieur und Architekt, ist ein solcher Vordenker. Seine Forderungen an die Branche sind unmissverständlich und sehr weitreichend. Sie betreffen die branchenübergreifende Zusammenarbeit, die Ausbildung von Architekten und die Vergabeordnung. Drei Aspekte, die an den Grundfesten der bisher gekannten Strukturen rütteln. 

 

greenIMMO: Herr Prof. Sobek, das Magazin "Der Spiegel" hat in einer seiner letzten Ausgaben vor der Jahreswende 2009/2010 die abgelaufene Dekade als "ein verlorenes Jahr" bezeichnet, angesichts der vielen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Irrwege und Einbahnstrassen, die zwischen 2000 und 2009 beschritten wurden. Für die Bau- und Immobilienbranche war es ganz und gar kein "verlorenes Jahrzehnt", wie es uns scheint. Im Gegenteil. Das Thema Nachhaltigkeit wurde von der Immobilienbranche in seiner Komplexität erkannt und wird zukünftig in viele Prozessabläufe integriert werden - auch Dank des Engagements der DGNB.

 

Was jedoch nach wie vor zu fehlen scheint, ist ein kontinuierlich stattfindender, branchenübergreifender Informationsaustausch und besonders eine engere Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Nehmen wir als Beispiel die Integration intelligenter Energie- und Wohntechniken in die Konzeption und Gesamtplanung von Wohngebäuden, die wesentliche Unterstützungselemente in der Energie- und Demografiefrage sind. Wie könnte hier ein interdisziplinärer Dialog zwischen Architekten, Planern, den ausführenden Gewerken und der Industrie gefördert werden? Und wie gelingt eine energe konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Erwähnten?

 

Prof. Werner Sobek: Die erforderliche enge Zusammenarbeit zwischen Architekten, Planern, den ausführenden Gewerken und der Industrie setzt voraus, dass die Beteiligten Ziele, Werte, Denk- und Handlungsmuster der jeweils anderen Disziplin kennen und den Willen zur Kooperation im positiven Sinn besitzen. Beides ist jedoch nur selten gegeben. Einerseits steht der Zusammenarbeit ein Mangel an gemeinsamer Basis entgegen. Hier tragen die Hochschulen Schuld, da sie es bis heute versäumt haben, die Ausbildung in den Studiengängen Architektur, Bauingenieurwesen, Heizung-Lüftung-Sanitär, Betriebswirtschaft und andere inhaltlich zumindest soweit zu überlappen, dass die Studierenden hinreichend tiefe Einblicke in die Welt der jeweils anderen Disziplin bekommen. Letzteres ist aber Voraussetzung jedweder substanziellen Zusammenarbeit. Andererseits steht einer engen Zusammenarbeit zwischen Planern und ausführenden Gewerken eine Vergabeordnung gegenüber, die man nur mit Kopfschütteln quittieren kann, denn, erstens: Sie unterbricht typischerweise während der Planungsphase den Informationsfluss zwischen Planung und Ausführung und damit die Chance einer Optimierung des Produkts insgesamt. Und, zweitens: Sie führt ab initio zu einer Konfrontationsposition, nur allzu selten zu einer wirklichen Kooperation zwischen Planung und Ausführung.

 

Umgehen lassen sich die genannten Probleme nur dadurch, dass wir einen an gemeinsamen Zielvorstellungen festgemachten Dialog zwischen allen Beteiligten beginnen, die Ausbildung geradezu revolutionieren und eine Vergabeordnung entwickeln, die einen Informationsaustausch, eine Zusammenarbeit a priori ermöglicht und die Qualität bei auskömmlichen Honoraren für alle Beteiligten zum Ziel hat. Der Impuls dazu muss aus der Mitte der Bauschaffenden selbst kommen. 

greenIMMO: Durch die zunehmende technische Komplexität bei Bauvorhaben sind verstärkt auch fachübergreifende Kenntnisse erforderlich, die bisher kaum gelehrt werden. Der Architekt als Generalist hat damit ausgedient, so scheint es. Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des Berufsbildes ein?

 

Prof. Werner Sobek: Die Rolle des Architekten wird kritisiert und angegriffen werden, da die anderen am Bauschaffen Beteiligten von ihm eine Leistung erwarten, die er heute aufgrund der zunehmend gesteigerten Komplexität, und zwar nicht nur im architektonischen oder technischen, sondern auch im juristischen oder wirtschaftlichen Bereich, kaum mehr erfüllen kann. Andererseits funktioniert Bauschaffen nicht ohne die führende Rolle des Architekten. Es geht also darum, ihm diese Rolle zu ermöglichen: Indem man seine Ausbildung inhaltlich deutlich verbessert und um einige Komponenten erweitert. Letzteres wird übrigens auch zu einer Verlängerung der Regelstudienzeit um vielleicht zwei Semester führen. Darin sehe ich jedoch keinerlei Probleme. Ganz im Gegenteil: Unsere Gesellschaft kann ihre Stabilität und ihren Wohlstand nur durch einen Vorsprung an Know-How und Wissen, nicht durch inhaltsarme Schnellabschlüsse nach dem Bachelor-Prinzip bewahren.

 

Ein Zweites wird hinzukommen: Ich bin davon überzeugt, dass die heutige Kleinheit und die heutigen Organisationsstrukturen unserer Architekturbüros der Zukunft nicht gewachsen sein werden.

 

greenIMMO: Durch die Symbiose von Ingenieurkunst und architektonischer Gestaltung gelingt es Ihrem Büro, Bauwerke zu realisieren, die über Jahrzehnte hinaus Bestand haben und Maßstäbe setzen. Dies gilt für Form und Funktion, für die Verwendung von Energie, Material und Raum. Führen Sie das auch auf Ihre intensive Beschäftigung mit sogenannten "smart materials" zurück? Welchen Einfluss hat die Entwicklung von "intelligenten" Fassaden, Glas, Farben und Textilien auf Ihre Arbeit?

 

Prof. Werner Sobek: Das Entwerfen visueller und das Entwerfen nichtvisueller, also beispielsweise taktiler oder akustischer Qualitäten, stehen in unserer Arbeit als gleich wichtig nebeneinander. Das Arbeiten mit unterschiedlichsten tradierten und neuen Werkstoffen hat in diesem Kontext eine hohe Wichtigkeit. Smart materials bieten zuvor nicht gekannte Chancen, beispielsweise im Bereich der Energiegewinnung, oder der Energiespeicherung oder, viel mehr noch, im Bereich der Schaltbarkeit, der Adaptivität von Baustoffen und Bauteilen. An meinem Institut, dem ILEK der Universität Stuttgart, entwickeln wir solche adaptiven Komponenten, beispielsweise schaltbare Verglasungen. In unserer Arbeit setzen wir diese Materialien immer mehr ein, stets aber zusammen mit anderen Werkstoffen wie Textilien, Beton, Naturstein, Holz oder Metallen. Ziel ist dabei immer die Schaffung von Schönheit bei gleichzeitig höchster Funktionalität. Letztere zu erreichen, bedeutet, das Bauschaffen auf eine Innovations- und Qualitätsstufe zu bringen, derer es schon lange bedarf. Daran arbeiten wir.

greenIMMO: Betrachten wir den jetzigen Standard unseres überwiegenden Wohnungsbestandes, sind wir weit entfernt von jeglicher "Intelligenz", die uns hilft, Energie kontrolliert zu ge- und verbrauchen, zwischen Energiegewinnungsarten (z.B. Solar, Windkraft oder Kohlekraft, Kernenergie) zu wählen oder auch mehr Wohnkomfort für ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen im Alter zu gewährleisten. Die enorme Herausforderung liegt daher in der zukunftsfähigen Ertüchtigung unseres Wohnbestandes, davon muss man ausgehen. Sind die aktuellen Maßnahmen und Förderprogramme hierfür eigentlich ausreichend? Greifen Sie nicht viel zu kurz?

 

Prof. Werner Sobek: Die aktuellen Maßnahmen greifen zu kurz. Wir müssen aber sehen, dass das Problem nicht ganz so einfach ist, wie man beim ersten Hinsehen glauben möchte. Die Energieeinsparverordnungen waren ein wichtiger erster Schritt. Da wir aber kein Energieproblem, sondern ein kombiniertes Emissions- und Ressourcenproblem haben, sind differenzierter Ansätze nötig. Zur Erklärung: Die Sonne strahlt ca.10 000 mal mehr Energie auf die Erde ein, als die Menschheit für alle ihre Funktionen benötigt. Sobald es uns also gelingt, gerade einmal 0,1 Promille der auf die Erde eingestrahlten solaren Energie zu nutzen, haben wir kein Energieproblem mehr. Auf dem Weg dorthin gilt es, den Verbrauch der aus fossilen Trägern hergestellten Energie und der damit verbundenen Emissionen schnellstmöglich und drastisch zu reduzieren. Einerseits dämpft man dasmit das Anwachsen des Global Warming. Andererseits führt die Reduktion der Verbrennung von Öl und Kohle dazu, dass uns diese für die Herstellung unverzichtbarer Kunststoffe so essentiell wichtigen Rohstoffe länger erhalten bleiben. Damit und mit der Einführung einer konsequenten Recyclingwirtschaft dämpft man das zweite von mir angesprochene, das Ressourcenproblem.

 

greenIMMO: Lassen Sie uns einen Blick in die nahe Zukunft werfen, in der sich der überwiegende Teil unserer Bevölkerung jenseits des 60. Lebensjahres befindet und im Regelfall 90 Jahre und älter wird. Dies muss unweigerlich Auswirkungen auf unsere Wohnsituation und die Lebensbedürfnisse haben. Wie könnte/müsste hier die Definition eines Wohnstandards aussehen, damit wir das Phänomen der Überalterung gesellschaftlich und wirtschaftlich verträglich in den Griff bekommen?

 

Prof. Werner Sobek: Als Wissenschaftler sehe ich keine Chance, dass wir das Problem gesellschaftlich und wirtschaftlich in einer Weise in den Griff bekommen, die einen Fortbestand gegenwärtiger Verhältnisse ermöglicht. Erhebliche soziale Konflikte sind unvermeidbar. Das zeigt schon die einfachste Milchmädchenrechnung: Wenn jeder über 80 ins Altenheim zieht, dann lebt im Jahr 2050 nahezu jeder vierte Erwachsene dort. Schon hieran sieht man, auf welche absurden Entwicklungen wir zusteuern. Bedauerlicherweise definiert die Politik das Problem nach wie vor als nicht existent nach dem Motto "Die Renten sind sicher". Das Problem muss also endlich aus der Mitte der Gesellschaft heraus angegangen werden.

 

Das Bauschaffen kann das angesprochene Strukturproblem nicht lösen. Die Form, in der ältere Menschen zukünftig ihr Leben gestalten werden, bedarf eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses. Wenn wir die Älteren zukünftig nicht mehr durch Umzug ins Altenheim aus der Gesellschaft ausgliedern, sondern sie in der Mitte des täglichen Lebens behalten wollen, dann wird dies auch bauliche Maßnahmen von signifikantem Umfang erfordern. Der dabei sicherzustellende Wohnstandard muss auf die Lebensbedürfnisse älterer Menschen abgestimmt sein und neue Formen des Zusammenlebens von jung und alt ermöglichen. Da sich diese veränderten Formen eines Zusammenlebens erst noch entwickeln werden, müssen Flexibilität in der Nutzung und in der Funktionalität eines Gebäudes die entscheidenden Merkmale, der entscheidende Standard sein.

greenIMMO: Wie läßt sich diese Definition auf den bestehenden Wohnimmobilienbestand übertragen bzw. ausweiten? Geht das überhaupt?

 

Prof. Werner Sobek: Kaum.

 

greenIMMO: In wie weit kann die Bau- und Immobilienbranche diese beinahe schon gesellschaftlichpolitische Funktion im Bereich der Wohnimmobilien überhaupt erfüllen? Wird die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hierbei eine Vermittlerrolle spielen zwischen Wirtschaft und Politik?

 

Prof. Werner Sobek: Wie schon gesagt: Das Bauschaffen kann das angesprochene Strukturproblem nicht lösen. Es kann zum notwendigen Diskurs beitragen und es wird dort eine wichtige Rolle spielen, nicht zuletzt deshalb, weil es zumindest die architektonische Dimension dieser Zukunft bereitstellen, schaffen muss.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, die eine der größten branchen- und disziplinenübergreifenden gesellschaftlichen Initiativen der vergangenen Jahrzehnte darstellt, diskutiert in ihren Kreisen die genannten Probleme sehr intensiv, denn schließlich werden sie das nachhaltige Bauen in der Zukunft deutlich prägen. Die DGNB, eine Non-Profit- und Non-Governmental Organisation, sieht es als eine ihre wichtigen Aufgaben an, Wege zu weisen. Die DGNB wirkt als Katalysator; eine Vermittlerrolle zwischen Wirtschaft und Politik kann sie allerdings nicht wahrnehmen, dies ist nicht ihre Zielsetzung und würde sie überfordern.

 

greenIMMO: Wie sehen Sie die Bau- und Immobilienbranche im Kontext von nachhaltigem Wirtschaften, wozu sich auch die neue Regierung bekannt hat. Kann sie hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen und andere Branchen darin bestärken, es ihr gleich zu tun?

 

Prof. Werner Sobek: Die schiere Größe der vom Bauwesen zu beantwortenden Parameter - nämlich ca. 35 % des Energieverbrauchs, 35 % der Emissionen, 50 % des Ressourcenverbrauchs und mehr als 50 % des Massenmüllaufkommens - macht deutlich, wie groß die gesellschaftliche Verantwortung aller am Bauschaffen und am Betreiben unserer Gebäude Verantwortlichen ist. Das Bauwesen muss endlich vorangehen, muss Position beziehen, muss beispielhaft agieren. Es geht dabei nicht nur um Energieeinsparung im Betrieb, es geht auch um Energieeinsparung in der Herstellung und Montage, um Ressourceneinsparung, Recycling, etc., d.h. es geht um die gesamte Palette der ökologischen, der ökonomischen und der sozio-kulturellen Fragen.  

 

Die DGNB besitzt eine weltweit anerkannte Spitzenposition in der Erarbeitung der Grundlagen für und im Wissen um ein derartiges Bauen. Auf dieses Wissen kann man bauen - und immer mehr tun dies. Ein sehr großer Teil der Bau- und Immobilienbranche nimmt ihre Verantwortung an, hat aber auch seine ökonomische Chance erkannt. Natürlich gibt es immer noch die Gestrigen, die im nachhaltigen Bauen das Profitstreben Einzelner vermuten wollen oder die die Befriedigung ihrer Partikularinteressen vor das Wohl der Sache und damit vor das Wohl der Gesellschaft und der Umwelt stellen. Hierdurch entsteht Schaden für alle und - es behindert unser Land in der Wahrung einer weltweiten Spitzenposition in einem industriellen Bereich, aus dem wir unsere soziale Stabilität für morgen schöpfen können.

 

greenIMMO: Zum Abschluss möchten wir Ihnen eine persönliche Frage stellen. Als Architekt und Ingenieur hat man immer einen Traum oder eine Vision von einer Sache, die man unbedingt realisieren möchte, unabhängig von allen äußeren Einflüssen. Wie sieht Ihre Vision bzw. Ihr Traum aus? Möchten Sie ihn uns verraten.

 

Prof. Werner Sobek: Lieber nicht.

 

greenIMMO: Herr Prof. Sobek, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.