© Dagmar Hotze
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greenIMMO: Frau Stölting, eine gesetzliche Quote für Frauen in Führungspositionen, scheint die Ihnen im Jahr 2015 nicht anachronistisch?

 

Janina Stölting: Es hätte schon längst etwas passieren müssen. Man wundert sich, warum die Diskussion eigentlich jetzt erst geführt wird, obwohl sie doch eher in die 1980iger oder 1990iger Jahre gehört. Ich denke aber, es ist ein gutes Signal, um möglichst bald auch andere Themen anzusprechen, die mit der heutigen Arbeitswelt zusammenhängen. Zum Beispiel das Gehaltsmodell. Warum verdienen Frauen heutzutage durchschnittlich 20 Prozent weniger als Männer? Das kann es ja irgendwie nicht sein! Das klassische Argument, dass das Gehalt für Frauen bedingt durch Schwangerschaft und Erziehungsurlaub geringer sein muss, ist heute überholt, wo es die Elternzeit für beide Partner gibt und überall von Gleichberechtigung gesprochen wird. Durch die Diskussion um die Frauenquote ist diese Ungleichheit mehr in der Öffentlichkeit präsent und vielleicht wird dadurch der Druck größer, dass sich hier endlich etwas ändert. Auch im Hinblick auf die Transparenz von Unternehmen ist das eine wichtige Frage. Wenn es schon Berichte über die Corporate Social Responsibility von Unternehmen gibt und Energie-Audits über die Energieverbräuche informieren müssen, warum dann nicht auch Gehälter offenlegen? Anonym zwar, aber öffentlich einsehbar.

  

greenIMMO: Sie gehören einer Generation an, für die berufliche Chancen selbstverständlich sein sollten, auch in sogenannten „Männerberufen“. Sie sind Architektin, was per se keine Männerdomäne ist. Allerdings überwiegen Männer in der Bau- und Immobilienwirtschaft, während Frauen als Entscheiderinnen eher rar sind. Woran liegt das, was meinen Sie?

 

Janina Stölting: Da kann man den Bogen ins Allgemeine spannen und fragen, warum sind Männer häufig im Vordergrund, während Frauen eher als „Arbeitsbienen“ im Hintergrund agieren? Ein Projekt ist dabei doch nur erfolgreich, wenn sein Team gut funktioniert. Ein Team ist aus meiner Sicht gut aufgestellt, wenn unterschiedliche Kompetenzen zusammenkommen, und das nicht nur auf fachlicher Ebene. Nicht jeder/jede ist rhetorisch begabt, nicht jeder/jede hat Zeitplanung im Griff oder ist entscheidungsfreudig. Hier ist die Aufgabe gefragt, das Team optimal zusammen zu setzen. Solche Dinge zu erkennen und zu steuern – da haben Frauen möglicherweise das bessere Fingerspitzengefühl – und das ist eindeutig eine Führungsaufgabe.

 

Bei mir war es so, dass mich der übliche Werdegang nach dem Architekturstudium nicht angesprochen hat. Ich wollte nicht eine ‚Arbeitsbiene‘ unter vielen sein, sondern habe mich auf die Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz von Gebäuden spezialisiert. Einfach weil es den Nerv der Zeit trifft und auch auf die Gefahr hin, erst einmal als Exotin zu gelten. Denn häufig muss ich erklären, was ich mache. Mir ist wichtig, meine Tätigkeit und mein Umfeld regelmäßig zu reflektieren, mich zu fragen, was kann ich lernen, was kann ich vielleicht besser machen und was will ich erreichen. Und wer weiß, vielleicht auch mit dem Ziel, irgendwann ein eigenes Unternehmen zu gründen. Denn das ist auch ein Thema, das mit der neuen Arbeitswelt oder mit dem Generationsthemazusammenhängt : Will ich da, wo ich angefangen habe, 40 Berufsjahre bleiben oder entwickele ich mich weiter? Oder wird es zukünftig vielleicht sogar von mir erwartet, dass ich flexibel bin und mich alle zwei, drei oder vier Jahre neu orientiere?

© Dagmar Hotze
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greenIMMO: Wie viele Frauen in verantwortlichen technischen Bereichen sind Ihnen denn in den Unternehmen begegnet, in denen Sie waren oder mit denen Sie bisher zu tun hatten?

 

Janina Stölting: In der Bauleitung sind Frauen absolut unterrepräsentiert. In einem großen Hamburger Bauunternehmen, in dem ich als Studentin tätig gewesen bin, waren immerhin drei von zwölf Zuständigen Frauen. Das ist ja schon mal etwas. Aber sonst fallen Frauen in der Baubranche sofort auf und sind auf dem Präsentierteller. Auch aktuell habe ich in meinen Projekten in der Immobilienwirtschaft überwiegend mit männlichen Entscheidungsträgern zu tun.

 

greenIMMO: Warum ist das nach wie vor so, auch im planerischen Bereich? Wir schreiben immerhin das Jahr 2015?

 

Janina Stölting: Weil die Bauwirtschaft träge ist. Sie ist relativ konservativ und entwickelt sich nur langsam weiter. Anders als im Vergleich zur IT-Branche, wo doch alles recht blitzartig geht. Es dauert zum Teil sehr lange, bis sich bestimmte Themen durchsetzen. Nehmen Sie zum Beispiel die Energieeinsparverordnung. Als die vor Jahren aufkam, wollten viele das Thema lieber auf die lange Bank schieben. Doch irgendwann hat es sich normalisiert und heute ist die Verordnung Standard und keiner beschwert sich mehr. So ist das hier ja häufig mit Innovationen - erst einmal beschweren sich die Leute und nach einer Weile regt sich dann keiner mehr auf. Vielleicht ist das mit Frauen in dieser Branche auch einmal so. Irgendwann sind Frauen ‚normal‘.

 

greenIMMO: Die Stars der Architektur sind alles Männer. Wieso? Wo sind die Frauen?

 

Janina Stölting: Eine der wenigen Architektinnen, die sehr präsent ist oder sich sehr stark präsentiert, ist Zaha Hadid. Ansonsten sind es vor allem die männlichen Kollegen. Doch man muss einfach mal in den Hintergrund gucken, wer hinter den ‚Stars‘ steht. Das ist ja nicht Sir Norman Foster, der einen spannenden Entwurf komplett allein macht. Schon Frank Lloyd Wright hatte immer eine Gruppe junger motivierter Studenten/innen um sich geschart. Auch Frank Gehry ist so ein schönes Beispiel, der in einer Folge der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ dargestellt wird, wie er ein Papier nimmt, zerknüllt, es hinwirft und, oh siehe da, das ist der Entwurf. So einfach ist es in der Realität ja nicht. Er hat die Inspiration im Kopf und legt damit die Grundlagen, aber dann steckt ein ganzes Team dahinter, was die Idee ausarbeitet, was die Visualisierungen macht, was aussteuert, damit das Ganze funktioniert. Es ist nie ein Einzelner, der das alles macht. Aber einer repräsentiert dann eben das Team und das ist jemand, der das gut kann. Und der steht dann vorne im Rampenlicht.

 

greenIMMO: Aber wo bleiben die Frauen, wenn es im Studiengang Architektur ein Verhältnis von 60 zu 40 gibt? Setzen sich Frauen nicht genug durch? Oder woran liegt das?

 

Janina Stölting: Ich denke, es ist in ganz vielen Bereichen ein Kommunikationsthema, sich selbst zu präsentieren oder zu platzieren. Ins Gespräch zu gehen, sich auf sein Gegenüber einzustellen und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das macht Arbeit und erfordert Fingerspitzengefühl, und vielleicht scheut sich die eine oder andere Frau davor. Oder hat nicht den Mut, sich dem auszusetzen. Da ist es doch einfacher, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und im Hintergrund zu bleiben. Dann macht man halt Tag für Tag seine Arbeit, obwohl man weiß, man könnte mehr.

 

greenIMMO: Die Lorbeeren erntet dann aber jemand anderes.

 

Janina Stölting: Tja, so ist das dann. Das ist aber, glaube ich, die Realität. Und es gehören ja auch immer zwei dazu.

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greenIMMO: Wie setzen Sie zum Beispiel Ihre Interessen durch?

 

Janina Stölting: Ich habe eine interessante Statistik gelesen, die besagt, dass viele Frauen sich erst auf eine Stelle bewerben, wenn sie 100 Prozent der Anforderungen erfüllen, wohingegen Männern 60 Prozent reichen. Das spricht doch dafür, dass sich Frauen unter Wert verkaufen und Angst haben, etwas falsch zu machen oder zu scheitern. Während Männer sagen, och, versuch' ich es halt mal, verkaufe mich so, wie ich bin und wage es mal. Da kann man sich eine Scheibe von abschneiden, denke ich.

 

Denn wie läuft die Jobsuche ab? Man blättert durch die Stellenanzeige und denkt, ich hab' noch keine fünf Jahre Berufserfahrung, also bewerbe ich mich nicht, klappt eh' nicht. Da kann ich mir die Mühe sparen. Und da muss man ansetzen. Denn ich weiß, ich hab' Qualitäten und kann mich da bewerben und dann sind es vielleicht andere Stärken, die ich hervorhebe und lasse das andere einfach unter den Tisch fallen. Wenn man dann tatsächlich eingeladen wird, ist das im Nebensatz vielleicht noch einmal ein Thema und ansonsten trumpft man mit anderen Merkmalen auf. Kommunikationsstärke ist dann die Eintrittskarte. Wichtige Stilmittel in der Kommunikation zu kennen und zu nutzen, ist ganz essentiell. Und nichts zu Emotionalisieren und sich hinter Selbstzweifeln zu verstecken, sondern das Ganze sachlich und mit einem gesunden Abstand zu betrachten.

 

Eine Strategie in großen Runden von mir ist zum Beispiel, zu mir selbst zu sagen, so, jetzt mal das Gehirn ausstellen und nicht den Film ablaufen zu lassen, sondern den neutralen Beobachter einschalten. Egal wie Männer sich verhalten, ob sie nun langweilt in die Gegend gucken oder einen beim Sprechen nicht einmal ansehen oder auf ihrem Smartphone herumtippen oder irgendeine Pose einnehmen, ist völlig egal. So etwas sollte man nicht persönlich nehmen. Ich bin hier gerade der Mittelpunkt, ich halte hier meine Präsentation und will meinen Standpunkt vertreten und alles andere werte ich nicht. Und eine gute Portion Gelassenheit, Leichtigkeit und Humor gehört auch dazu.

 

greenIMMO: Im Zuge der Diskussion um die Frauenquote ist auch die Unternehmenskultur in den Fokus gerückt. Dinge, die gesellschaftlich längst Realität sind, scheinen in vielen deutschen Unternehmen immer noch nicht angekommen zu sein, wie etwa die Notwendigkeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Frauen als Talente zu fördern und im Betrieb zu halten oder flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. Sind Unternehmen dieser „Alten Schule“ für Sie attraktiv?

 

Janina Stölting: Überhaupt nicht. Ich würde mir bei einem attraktivem Angebot eine solche Firma sicherlich kurzzeitig angucken, um zu sehen, was ich lernen und bewegen kann. Aber ich bin mir sicher, dass ich dort nicht lange bleiben würde. Ich setze mir immer einen Zeitraum und hinterfrage dann, bin ich eigentlich noch zufrieden mit dem, was ich mache oder ist der Zeitpunkt für eine Alternative gekommen. In der heutigen Zeit, in der es immer mehr Krankschreibungen gibt, sollten Firmen sich fragen, woran dies liegt und was sich ändern muss. Es wird immer noch unterschätzt, dass der Erfolg eines Unternehmens von der Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter abhängt. Sich damit auseinanderzusetzen, ist in der heutigen Zeit unverzichtbar. Dabei spielen Angebote von flexiblen Arbeitszeiten oder anderen Formen der selbstbestimmten Arbeitsweise ebenso eine Rolle wie eine gesundheitsfördernde Arbeitsatmosphäre. Wenn die Arbeitsbedingungen stimmen, gibt es weniger Fehltage und die Produktivität steigt. Es ist also eine Win-Win-Situation, davon bin ich überzeugt.

 

greenIMMO: Wie wichtig sind Ihrer Ansicht nach Frauennetzwerke, um die Situation zu verändern?

 

Janina Stölting: Ich finde es immer schwierig, sich zu separieren und zu sagen, man ist anders. Viel wichtiger ist es, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten. Frauen sollten lieber generell mitmischen, sich einbringen und auf viel Präsenz auf Veranstaltungen ihrer Berufsbranche zeigen. Auf der anderen Seite habe ich auf einem Seminar über Konfliktbewältigung erlebt, wie eine motivierende Eigendynamik entsteht, wenn nur Frauen teilnehmen und alle offen sprechen. Das wäre in einem gemischten Seminar sicherlich anders gewesen. Seminare dieser Art empfehle ich allen Frauen, die um ihr Standing im Berufsalltag kämpfen. Aber prinzipiell halte ich gemischte Netzwerke für den besseren Weg, um Kontakte zu knüpfen und voranzukommen.

 

greenIMMO: Frau Stölting, wir danken Ihnen für das Gespräch.